Wenn Verhütung misslingt...

Berthold: Studie als wichtiger Beitrag rund um den Schwangerschaftsabbruch
Salzburger Landeskorrespondenz, 17. Juni 2014

(LK)  Die für Frauen ressortzuständige Landesrätin Mag. Martina Berthold und das Salzburger Frauengesundheitszentrum ISIS präsentierten heute, Dienstag, 17. Juni, in einem Informationsgespräch die Ergebnisse der neuen Studie "Wenn Verhütung misslingt…" über die Entstehungssituationen ungewollter und abgebrochener Schwangerschaften. Diese in Österreich einzigartige Studie wurde unter der Projektleitung von Mag. Petra Schweiger, Psychologin im Frauengesundheitszentrum ISIS, in Kooperation mit dem Gynmed-Ambulatorium Wien und Salzburg von den Autorinnen Dr. Birgit Buchinger und Mag. Renate Böhm von "Solution Sozialforschung & Entwicklung" erstellt.

"Um ungewollte Schwangerschaften vermeiden zu können, gilt es genau hinzuschauen und hinzuhören. Die Studie 'Wenn Verhütung misslingt…', die im Auftrag des Frauenressorts des Landes Salzburg und des Bundesministeriums für Gesundheit erstellt worden ist, nähert sich dem Schwangerschaftsabbruch von zwei Seiten. So wurden die Frauen selber befragt und auch Expertinnen und Experten. Es ist gut, wenn offen und tabulos die Hintergründe der Schwangerschaftsabbrüche erforscht werden, um so gezielte Prävention entwickeln zu können“, betonte Martina Berthold.

"Diese aktuellen Daten und Fakten zu ungewollten Schwangerschaften zeigen einmal mehr, wie bedeutsam die Anwendung wirksamer Verhütung ist und wie hoch der Informationsbedarf diesbezüglich vor allem auch unter erwachsenen Frauen bzw. Paaren mit Kindern ist. Als Obfrau des Salzburger Frauengesundheitszentrums ISIS und Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe werde ich mich weiter aktiv engagieren, um die vorgeschlagenen Präventionsmaßnahmen nachhaltig umzusetzen", so Dr. Gerlinde Akmanlar-Hirscher, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe.

Mehr als 500 Frauen befragt

Für die Studie haben mehr als 500 Frauen, die zum Schwangerschaftsabbruch in die Gynmed-Ambulanz (Salzburger Universitätsklinik), das Gynmed-Ambulatorium in Wien oder die gynäkologische Abteilung des Landeskrankenhauses in Korneuburg kamen, einen ausführlichen Fragebogen beantwortet – zusätzlich wurden Interviews mit Expertinnen und Experten durchgeführt sowie die Forschungsarbeit von einem Expert/innen-Kuratorium begleitet.

Soziodemografische Daten

Der Altersdurchschnitt der für die Studie befragten Frauen liegt bei 28 Jahren – zehn Prozent sind unter 18 Jahre und zehn Prozent über 40 Jahre alt. Rund die Hälfte der Frauen haben ein Kind oder mehrere Kinder. 70 Prozent der Frauen sind in Österreich geboren. Der Großteil schätzt die eigene finanzielle Situation als gut bis ausreichend ein. Mehr als zwei Drittel geben an, in einer festen Partnerschaft zu leben.

Ergebnisse der Studie

Projektleiterin Mag. Petra Schweiger betonte im Informationsgespräch zu den Ergebnissen der Studie: "Überraschend war, dass sich ein großer Teil der Frauen (60 Prozent) an die Entstehungssituation gut erinnert und dass für fast alle Frauen die Sexualität zu diesem Zeitpunkt erwünscht war (93 Prozent) – nur 1,4 Prozent der Frauen erlebten dabei Gewalt."

Auffällig ist, so die Studie, dass viele Frauen in der konkreten Entstehungssituation der ungewollten Schwangerschaft nicht verhütet haben (47 Prozent). Von denjenigen, die verhütet haben, haben drei Viertel eine nur mäßig oder wenig wirksame Methode angewendet (Kondom, Tage zählen, Selbstbeobachtung). Viele der befragten Frauen verhüten grundsätzlich nur "von Fall zu Fall" (33 Prozent) und sind deshalb häufig ungeschützt.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde viel über Motive und sozialökonomische Hintergründe der Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen ließen, geforscht – in der Hoffnung, Maßnahmen zu entwickeln, mit denen die Häufigkeit von Abbrüchen gesenkt werden könnte. Diese Hoffnung hat sich jedoch nicht erfüllt. Schweiger: "Die Entscheidung zu einem Schwangerschaftsabbruch ist für betroffene Frauen nicht primär das eigentliche Problem, sondern vielmehr eine Lösung für das zugrunde liegende Problem eines ungewollten Lebensereignisses."

Aufschlussreich ist die differenzierte Analyse, dass 87 Prozent der Frauen einen eindeutigen Verhütungswillen äußerten, das heißt, sie hatten zum Zeitpunkt des Eintritts der ungewollten Schwangerschaft keinen Kinderwunsch und waren davon überzeugt, dass kein Risiko bestünde, schwanger zu werden.

Die Diskrepanz zwischen Verhütungswillen und Verhütungsrealität erklärt sich laut Studie durch folgende Faktoren:

·         Wissensmängel: Nach wie vor gibt es ein Tabu rund um Sexualität sowie fehlendes Wissen über die eigene Fruchtbarkeit. 43 Prozent der befragten Frauen geben an "Ich war sicher, dass nichts passieren kann".

·         Der Glaube ist größer als die Wirksamkeit: Obwohl die Wirksamkeit der Methode als wichtigstes Entscheidungskriterium der Frauen genannt wird (70 Prozent), werden mittelmäßig und wenig wirksame Methoden häufig angewendet und fälschlicherweise als wirksam eingeschätzt; besonders ausgeprägt ist diese Diskrepanz beim Kondom.

·         Methodenvakuum: Viele Frauen möchten verhüten, können sich aber aufgrund der angstauslösenden Informationen über hormonelle Verhütungsmittel nicht für eine wirksame Methode entscheiden; die Ängste vor unerwünschten Nebenwirkungen sind größer, als die vor einer ungewollten Schwangerschaft.

·         Pech und Pannen: In 35 Jahren Fruchtbarkeit kann es auch zu Verhütungsunfällen kommen (Pille vergessen, Kondom abgerutscht, schwanger trotz Spirale, ...) bzw. zu Situationen, in denen nicht vernunftkontrolliert verhütet wird.

Diese grundlegenden Erkenntnisse liefern eine wichtige Basis für effektive Prävention. Wie in anderen Lebensbereichen erfordert auch die Prävention ungewollter Schwangerschaften ein breites Maßnahmenpaket. Dieses wurde gemeinsam mit einem Expert/innen-Kuratorium erarbeitet.

Effektive Prävention

Handlungsempfehlungen zur Prävention sind:   

·         Österreichweite Kampagnen zur Information über wirksame Verhütungsmethoden; kostenlose evidenzbasierte Informationen für Frauen und Männer unterschiedlicher Zielgruppen

·         Verbesserung der sexuellen Bildung an den Schulen durch qualifizierte Ausbildung der Lehrer/innen und Verwendung moderner Unterrichtsmaterialien

·         Sachliche, leicht verständliche Informationen über Nutzen und Risiko hormoneller Verhütungsmethoden

·         Erweiterung der Vergütung der fachärztlichen Verhütungsberatung durch die Krankenkassen

·         Verhütung auf Krankenschein insbesondere auch die Kostenübernahme hochwirksamer Langzeitmethoden

Diese Maßnahmen sind in den meisten westeuropäischen Ländern teilweise seit Jahrzehnten selbstverständlicher Versorgungsstandard und richtungsweisend für eine Vision des Frauengesundheitszentrums: "Wir träumen von dem Tag, an dem alle Kinder, die geboren werden, gewollt sind, Männer und Frauen gleichberechtigt sind und die Sexualität als Ausdruck von Liebe, Freude und Innigkeit gesehen wird."

Studie ermöglicht differenzierte Sicht auf Verhütungsproblematik

Die Studienautorinnen Mag. Renate Böhm und Dr. Birgit Buchinger von "Solution Sozialforschung & Entwicklung" heben hervor. "Der von uns nach intensiven Analysen der Befragungsergebnisse entwickelte Begriff des expliziten und impliziten Verhütungswillens ermöglicht endlich eine differenzierte Sicht auf die Verhütungsproblematik, die viele Frauen erleben. Mit diesem neuen Blick auf das, was bisher lapidar 'misslungene Verhütung' genannt wurde, lassen sich einerseits die Problemlagen der Frauen näher und tiefenschärfer identifizieren und daraus die entsprechenden Maßnahmen für die Beratung und Unterstützung von Frauen, Ärztinnen und Ärzten, Beratungseinrichtungen entwickeln. Andererseits gelingt es mit diesem neuen Ansatz, die überwiegende Mehrheit der Frauen, die ungewollt schwanger werden, vom Verdacht der groben Fahrlässigkeit zu befreien und das Augenmerk darauf zu richten, wo die, aus der Bedarfslage der Frauen gesehenen großen Mängel des aktuellen Angebots an Verhütungsmöglichkeiten bestehen."

DDr. Christian Fiala, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und ärztlicher Leiter des Gynmed-Ambulatoriums Wien und Salzburg und Initiator und Kooperationspartner betont zur Studie: "Diese international einmalige Studie über die Entstehungsbedingungen ungewollter Schwangerschaften bestätigt und zeigt detailliert auf, was wir aus zahlreichen früheren Studien sowie den täglichen Gesprächen mit Frauen, die zu einem Abbruch kommen, wissen. Die Ursache einer ungewollten Schwangerschaft ist in einer ungenügenden oder fehlenden Verhütung begründet und die Entscheidung zum Abbruch der Schwangerschaft bzw. gegen ein (weiteres) Kind in der wohlüberlegten Abwägung, dass die persönliche Lebenssituation, bzw. Überforderung ein (weiteres) Kind vernünftigerweise nicht zulässt.

Was die vorliegende Studie darüber hinaus zeigt, sind aktuelle Entwicklungen, wie der Wunsch 'natürlich' bzw. ohne Hormone zu verhüten, was zunehmend häufig die Ursache für ungewollte Schwangerschaften bzw. Abbrüche darstellt. Die Studie liefert auch neue Analysen für die Prävention, so dass nunmehr die Politik gefordert ist, nicht nur die bekannten und längst überfälligen Präventionsmaßnahmen umzusetzen, sondern diese mit den neuen Erkenntnissen dieser Studie zu ergänzen.

Hier gebührt den Bundesländern Salzburg und Wien eine besondere Auszeichnung, weil sie sich in diesem Bereich besonders engagieren, was sich unter anderem in einer österreichweit führenden Anwendung von Verhütung niederschlägt, wie der Österreichische Verhütungsreport gezeigt hat." Nähere Details dazu gibt es im Internet unter www.abtreibung.at/ bzw. www.verhuetungsreport.at/.

Die Studie "Wenn Verhütung misslingt..." ist auf der Website des Frauengesundheitszentrums ISIS unter www.frauengesundheitszentrum-isis.at/ zum Download bereitgestellt. s127-40